Samstag, 16. Februar 2013

Gewaltige Worte



Gewaltige Worte. Gewalt in Worten. Was ist an Worten so gewaltig?

Ein Wort. Eine Folge von Buchstaben – A B C D E – einfache unschuldige Buchstaben.
Alphabet. Eine Truppe. 26 Kämpfer. Unfreiwillig? Gebraucht? Missbraucht?
Sind sie sich ihrer Tragweite, ihrer Reichweite bewusst?
Einer für sich allein – A B C D E – hat er eine Bedeutung? Ist er gewaltig? Gewalttätig?
Der Buchstabe. Wird er benutzt? Verschmutzt? Verschwendet? Verwendet?

Oder sind es die Sätze? Satzkonstruktionen, Stahlkonstruktionen – unverrückbar, unzerstörbar?
Voll mit Doppelpunkten, Strichpunkten, Beistrichen.
Ein Fliegendreck am Blatt oder ein Satzveränderer? Sinnveränderer?
Satzgestalter? Satzerhalter? Verwalter?
Gehaltvolle Sätze. Gewaltvolle Sätze.

Gewaltige Worte?
Worte haben Gewalt. Worte haben Macht.
Sie können töten.
Töten Mut, Hoffnung, Respekt. Töten die Seele, langsam, vergiften.
Worte schlagen ein, Gewehrsalven. Prasseln nieder, drücken nieder.
Gewaltige Worte – Worte der Gewalt?

Aber Worte können auch anders. Worte haben Kraft, geben Kraft.
Sie richten auf, trösten, ermutigen, geben Orientierung. Und Hoffnung.
Worte der Liebe. Worte der Wahrheit. Worte des Lebens.
Gewaltige Worte – Worte des Lebens?

Sätze – Aneinanderreihung von Worten – von Buchstaben – A B C D E
Sind sie Tod oder Leben?


Freitag, 9. März 2012

Für meinen Papa zum 50er



Christian, was schenkt man dir
Zu deinem runden Fünfziger
Vielleicht magst du ja ein Glas Bier
Einen Dackel namens Rüdiger?

Möchtest du vielleicht ein großes Stück Land
Ein Mercedes macht sich sicher gut vor deinem Haus
Fünf goldene Ringe an jeder Hand
Ich denk, du brauchst kein Leben in Saus und Braus

Willst du vielleicht ein Leben ohne Schmerzen?
Alles ist immer Friede, Freude, Eierkuchen
Keine Traurigkeit, nur noch Lachen und Scherzen
Ich glaub nicht, dass du das möchtest versuchen

Wie wär‘s mit Weisheit ohne Ende
Weißt in jeder Situation den richtigen Spruch
Rechnest Wurzeln und Potenzen ohne Hilfe der Hände
Nein, du willst auch nicht werden ein wandelndes Buch

All diese Wünsche klingen ja wirklich gut
Doch was macht das Leben wirklich aus?
Man braucht ein wenig Offenheit, ein bisschen Mut
Nette Menschen, die auf einen warten Zuhaus‘

Was wäre das Leben ohne Hoffen und Bangen
Wenn dir immer nur alles fiele in den Schoß
Hat dein Leben erst, als du Geld hattest angefangen
Ohne ging es schon viel früher los?

Du brauchst auch nicht immer alles zu wissen
Wenn du nur bist zum Denken bereit
Und wenn du hast ein gutes Gewissen
Bist du vor vielen Fehlern gefeit

Doch selbst wenn man mal einen Fehler macht
Macht dies das Leben nicht schlimmer
Und auch nach der dunkelsten, schwärzesten Nacht
Wird es wieder hell, der Tag kommt immer

Ich wünsche dir dass du in deinem Leben
Die Sachen so nehmen kannst wie sie geschehn
Der Herr wird sein Angesicht über dich heben
Und eines Tages wirst du ihn sehn

Montag, 5. Dezember 2011

Esels-Erinnerungen



Esels-Erinnerungen

Genüsslich steckte er seine Schnauze in das frische Heu. Die beiden Kleinen tapsten näher und vergruben ihre Gesichter ebenfalls in dem duftenden Futter. Sie schmatzten und schlangen das Heu gierig hinunter, während der alte Esel gemächlich und leise fraß. Nach wenigen Minuten war der Futtertrog leer. Mit einem zufriedenen Seufzer wandte er sich ab und trottete in eine Ecke des Stalls. Die zwei Eselskinder, es waren Bruder und Schwester, hasteten ihm nach. Er wollte sich gerade hinlegen, doch die Beiden drängten sich um ihn und kuschelten sich an seine Seite. „Bitte, erzähl uns doch eine Geschichte!“, bettelten sie und schauten ihn mit großen unschuldigen Augen an. „Nun gut“, gab sich der alte Esel geschlagen. So viel Charme konnte er nicht widerstehen. „Juhu!!“ Das kleine Esel-Mädchen sprang vor Freude fast in die Luft. Ihr Bruder dagegen blieb ruhig. Er blickte den Alten nur mit ernsten Augen an und meinte mit Nachdruck „Aber eine wahre Geschichte.“ Mit seiner angenehm tiefen Stimme begann der greise Esel zu erzählen. „Vor langer Zeit lebte ich ein anstrengendes aber gutes Leben in einem kleinen Ort. Ich musste hart arbeiten, aber mein Herr gab mir genug zu fressen und kümmerte sich gut um mich. Eines Abends kam er zu mir in den Stall und begann mich zu bürsten. Immer wenn er das machte, wusste ich, dass ihn irgendetwas bedrückte. So war es auch dieses Mal. Nach kurzer Zeit begann er zu erzählen. Es ging um ein Mädchen. Das ist bei den Menschen nichts Ungewöhnliches.“ Bei dem Wort Mädchen hatte die kleine Eselin ihre Ohren aufmerksam in die Höhe gereckt und fragte nun den Erzähler mit piepsiger Stimme: „Ein Mädchen? So wie ich? War sie hübsch?“ Obwohl er im ersten Moment verärgert über die Unterbrechung war, musste der alte Esel jetzt schmunzeln. „Ja ein Mädchen, so wie du. Vielleicht war sie ein bisschen älter, aber doch noch sehr jung. Und hübsch war sie, das muss schon gesagt werden. Mein Herr konnte sich glücklich schätzen, denn er war mit ihr verlobt. Doch nun zurück zu dem, was er mir erzählt hatte. Sein Mädchen erwartete ein Kind, aber nicht von ihm.“ Entsetzt sogen die Geschwister die Luft ein und die kleine Eselin schüttelte entrüstet und enttäuscht den Kopf. Gerade noch war sie begeistert von diesem Mädchen gewesen und nun das! „Wartet Kinder, urteilt nicht, bevor ihr nicht die ganze Geschichte kennt. Die Verlobte meines Herrn behauptete, dass ihr Kind von Gott kommen würde. Ein Engel sei zu ihr gekommen und hätte ihr das gesagt.“ „Von Gott?“ „Wie soll denn das gehen?“ „Was ist denn ein Engel?“ Verwirrt redeten die Kleinen durcheinander. Der Alte sprach beruhigend auf sie ein: „Langsam, langsam. Immer der Reihe nach. Ich werde es euch schon noch erklären. Also: Ein Engel ist ein Bote Gottes, so ähnlich wie ein Briefträger. Er bringt den Menschen Nachrichten von Gott. Und dem Mädchen hat er die Nachricht gebracht, dass sie ein Kind bekommen würde, ohne einen Mann. Das ist eigentlich unmöglich. Aber so war es. Ich hab es mit eigenen Augen gesehen. Aber halt, ich greife vor, so weit sind wir ja noch nicht.“ „Was hat denn dein Herr zu dem Ganzen gesagt?“, fragte der Esel-Junge. „Mein Herr war natürlich verwirrt und auch enttäuscht. Er konnte die Geschichte seiner Verlobten nicht wirklich glauben. Aber am nächsten Tag war er wie ausgewechselt. Sofort nach dem Aufstehen, noch bevor er zu arbeiten begann, lief er zu seinem Mädchen und sagte ihr, dass er sie heiraten werde. Ich war verwirrt. Da war er tags zuvor noch so schockiert über ihr Geständnis und auf einmal war alles wieder in Ordnung.“ Die kleinen Esel schauten den Alten in gespannter Erwartung an. „Warum hat er seine Meinung geändert?“ „An diesem Abend“, fuhr der große Esel fort, „kam mein Herr wieder zu mir in den Stall. Er erzählte mir, dass er in der vorigen Nacht einen Traum gehabt hatte. In diesem Traum hat ein Engel mit ihm geredet und ihm gesagt, dass seine Verlobte ihn nicht betrogen und auch nicht angelogen hatte.“ „Schon wieder ein Engel“, kommentierte der kleine Esel, und wusste  nicht so recht, was er von dieser Tatsache halten sollte. „Ja, Engel spielen in dieser Geschichte eine recht bedeutende Rolle. Aber alles der Reihe nach. Das Mädchen war also schwanger und ihr Bauch wurde immer dicker. Als sie schon fast kugelrund war, kam ein wichtig aussehender Mann in unseren Ort und begann am Marktplatz laut etwas vorzulesen. Als er wieder weg war schien unser kleines Dorf sich in einen Bienenstock zu verwandeln. Alle redeten und tuschelten miteinander und viele begannen ihre Sachen für eine Reise zu packen.“ „Das muss aber wichtig gewesen sein, was dieser Mann da vorgelesen hat“, staunte das Esel-Mädchen, „wenn es das ganze Dorf in Aufruhr gebracht hat.“ „Da hast du völlig Recht.“ Voller Stolz schielte die Kleine zu ihrem Bruder hinüber. Der tat so, als hätte er es nicht bemerkt und wandte sich ganz bewusst dem alten Esel zu. Dieser erzählte weiter: „Der Mann war ein Bote des Kaisers. Der Kaiser hatte sich in den Kopf gesetzt, dass er alle Leute in seinem Land zählen wollte.“ „Das waren sicher viele. Sicher mehr als Hundermillionentausend“, meinte der kleine Esel. „Ganz genau, es waren sehr viele.“ Nun war der kleine Junge an der Reihe, seine Brust stolz zu recken und seiner Schwester einen selbstzufriedenen Blick zuzuwerfen. „Ich hab auch etwas gewusst“ sollte dieser Blick bedeuten. Der alte Esel räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der beiden wiederzuerlangen. „Weil es so viele Menschen waren, beschloss der Kaiser, dass alle in die Stadt gehen sollten, aus der sie ursprünglich kamen. So wollte er verhindern, dass jemand übersehen wurde. Mein Herr begann noch am selben Tag viele Dinge auf meinen Rücken zu packen. Er und sein Mädchen mussten auch in eine andere Stadt gehen. Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg. Es war eine lange Reise, mehrere Tagesmärsche lang.“ „Aber das Mädchen hatte doch einen kugelrunden Bauch!“, protestierte die kleine Eselin entrüstet. Auch der Junge nickte zustimmend: „Sie kann doch nicht so weit gehen.“ „Ja, für das Mädchen war es wirklich anstrengend. Deshalb durfte sie auch einen großen Teil der Reise auf mir reiten.“ Die Geschwister waren beeindruckt. „Das ist aber nett von dir.“ Geschmeichelt von diesem Kompliment fuhr der alte Esel fort: „Schließlich waren wir am Ziel unserer Reise angekommen. Ich freute mich auf einen gemütliches Plätzchen zum Schlafen und eine große Portion Heu. Mein Herr und sein Mädchen freuten sich auch auf ein Bett zum Schlafen und eine warme Gaststube, wo sie zu Abend essen konnten. Doch leider wurde daraus nichts. Alle Gasthäuser in der Stadt waren voll. Niemand hatte Platz für uns. Das Mädchen begann zu weinen, denn ihr Baby sollte bald auf die Welt kommen und sie hatte nicht einmal ein Bett.“ Die Augen des Esel-Mädchens füllten sich ebenfalls mit Tränen. Wie ungerecht war doch die Welt! Der greise Esel drückte ihr einen sanften Kuss auf die Schnauze. „Nana, nicht weinen. Die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende. Es fand sich schließlich doch noch ein Platz für die Menschen. Ich teilte mir einen Stall mit ihnen. Normalerweise schlafen Menschen ja nicht in Ställen, aber mein Herr war froh, dass sie ein Dach über dem Kopf hatten. In dieser Nacht kam das Baby auf die Welt.“ „Menschenbabys brauchen doch ein Bett, oder?“, fragte der Esel-Junge. „Aber in einem Stall steht doch kein Bett?“, schniefte die kleine Eselin. Die Geschwister konnten sich gar nicht vorstellen, wie so ein kleines Ding in ihrem Stall zurechtkommen würde. Menschenbabys waren doch so winzig und zerbrechlich. Ein Stall war kein geeigneter Ort für sie. „Ja, ein Bett hatten wir nicht in dem Stall. Aber ich hatte eine gute Idee. Im Futtertrog war noch ein wenig Heu übrig, und wenn man eine Decke darüberlegte, würde das ein weiches Bett für das kleine Menschlein machen. So legte das Mädchen ihr Baby in den Trog. „Das arme kleine Ding“, ertönte es fast einstimmig von den zwei kleinen Eseln. „Das habe ich mir auch gedacht, als ich mich schließlich schlafenlegte. Plötzlich wurde ich von Stimmen aus dem Schlaf gerissen. Eine Gruppe von unrasierten, schmutzigen, einfach gekleideten Hirten kam in unseren Stall. Draußen blökten ihre Schafe. ‚Wieso stören die meine Nachtruhe‘, dachte ich mir. Mein Herr dachte sich dasselbe. Er fragte die Männer, was sie hier wollten. Da fingen sie an zu erzählen. Sie waren wie immer mit ihren Herden am Feld gewesen, als plötzlich ein Engel da war und …“ „Schon wieder ein Engel!“, rief der kleine Esel aufgeregt. Der alte Esel lächelte. „Nicht nur einer. Die Hirten erzählten, dass dann eine große Menge von Engeln da war. Einer von ihnen hatte den Männern gesagt, wo sie das Baby finden würden, und deshalb waren sie nun da: Um das Baby zu sehen.“ „Das muss aber ein besonderes Baby gewesen sein“, meinte das Esel-Mädchen und ihr Bruder nickte zustimmend. „Ja meine Kleinen, das war es auch. Ein ganz besonderes Baby...“ Der alte Esel hob seinen Kopf und blickte verträumt nach oben. „Dieses Kind war kein normales Menschenbaby.“ Die zwei Eselskinder schauten ihn verwundert an, aber sie trauten sich nicht zu sprechen, denn der Alte schien sich mit seinen Gedanken weit weg zu sein. So schwiegen sie nur und warteten geduldig, bis er weitersprach. „Im ersten Moment ahnte ich das natürlich noch nicht. Es sah aus wie ein normales Menschenbaby und benahm sich auch so. Doch dann …“, die Stimme des greisen Esels brach und er musste sich fassen, bevor er weiter erzählen konnte: „Doch dann öffnete das Kind die Augen und schaute mich an. Sein Blick ist bis in mein Innerstes gedrungen und ich wusste, ich blickte in die Augen meines Schöpfers.“ Nun konnten sich die kleinen Esel vor Aufregung nicht mehr zurückhalten. „Was? Meinst du Gott?“ „Der Schöpfer ist doch Gott.“ „Das heißt…, das heißt, du hast Gott gesehen?“ Lächelnd schaute der Esel die Geschwister an und dann nickte er. „Ja Kinder, Gott ist als Mensch auf die Erde gekommen, und ich habe ihn gesehen!“

Für den Kreativwettbewerb der MedUni Graz. 

Mittwoch, 26. Oktober 2011

ohne titel



Ein Mensch
Du. Augen, Nase, Ohren, Herz, Mund, Lunge, Beine, Arme, Finger – Körper.
Du siehst dich um. Betrachtest die Landschaft.
Grüne Wiesen bedecken den Boden, wie ein Teppich. Im Frühling sind sie ein Meer aus Farben und Gerüchen. Blumenpracht.
Ein Fluss bahnt sich sanft, aber unbeirrt seinen Weg – schlängelt sich zwischen den Feldern hindurch, gräbt sein Bett tief zwischen Felsen hinein und mündet schließlich am Meer.
Ähren Wogen im Sommer im Wind. Gewitterwolken ziehen auf. Blitze, Donner – ein Orchester aus Licht und Paukenschlägen. Dann der Einsatz des Regens – crescendo. Schließlich kommt das Finale: Die dunklen Wolken müssen langsam der Sonne Platz machen. Es wird heiß, doch nicht im kühlen Schatten der Bäume.
Der Wald. Wunderschöne Farbspiele – rot, orange, grün, gelb, braun und alle Farbtöne dazwischen – stellt er im Herbst zur Schau. Hier raschelt es, dort huscht etwas davon, ein Pfoten-Abdruck auf dem Weg.
Der Boden steigt sanft an. Ein Hügel bedeckt mit Bäumen. Es werden weniger, die Luft wird dünner. Zerklüftete Felsen ragen majestätisch empor. Jeder Stein hat sein eigenes Muster. Gewaltige Gebirge, die die Landschaft formen. Im Winter glitzert der Schnee überall, weit oben bleibt er selbst in der heißen Jahreszeit.
Du. Stehst oben auf einem Berg. Betrachtest die Landschaft.
Du siehst die Wunder. Bist begeistert, glücklich, dankbar. Du siehst etwas. Schaust genauer hin. Und dein Herz hüpft. Will zerspringen vor Freude:
Am äußersten Ende, dort wo alles anfängt und aufhört, ist etwas, das alles zusammenhält.
Etwas?
Du betrachtest es näher. Und siehst:
Die ganze Erde, die gesamte Landschaft hat ein Fundament.
Wird gehalten.
Getragen.
Von Gottes Hand!

… Szenenwechsel…

Es war gerade noch alles in Ordnung gewesen. Doch dann plötzlich
Bist du gefallen. Lange und tief.
Du konntest nichts dagegen machen. Konntest nicht anhalten.
Bis du den Boden erreichtest.
Du blickst auf. Es ist dunkel und feucht.
Oben ist sehr weit weg. Nur ein schwaches Licht kommt von dort.
Was ist passiert? Wo bist du? Wohin bist du gefallen?
Du betrachtest deine Umgebung, deine Umstände. Du kommst zu einem Schluss
Du bist gefallen, so tief, so weit, so lang. Du bist dir sicher, dass du
Herausgefallen bist
Aus Gottes Hand!

Du weinst, du schreist, du hast Angst, du bist wütend, du gibst die Hoffnung auf und schließlich schläfst du ein.

… ein Traum…

In deinem Traum hast du Flügel. Kannst fliegen. Wie ein Adler breitest du deine Schwingen aus.
Hoch, immer höher.
Schließlich erreichst du Oben.
Fliegst höher, noch höher.
Du erwartest Gottes Hand zu sehen. Von ferne.
Dort wo du früher warst.
Du fliegst höher, und weiter und bist erstaunt. Unter dir siehst du Landschaft:
Bäume, Blumen, Flüsse, Wiesen, Felder, Berge, Hügel. Es kommt dir bekannt vor.
Als du noch höher fliegst, siehst du es. Du bist noch immer auf derselben Erde. Auf derselben Erde,
die gehalten wird.
Von Gottes Hand!
Und dann begreifst du:
Du bist gefallen – tief – in ein Loch.
Doch dieses Loch – genauso wie die Berge, der Wald, die Blumen, der Fluss – ist
in Gottes Hand!


Für eine liebe Bekannte, die durch schwere Zeiten ging.

Sonntag, 6. Februar 2011

Im Seziersaal

Wie immer ging ich zu spät von zu Hause los. So hatte ich völlig vergessen meine Haare zusammenzubinden. Als ich nassgeschwitzt und außer Atem bei der Bushaltestelle ankam, hielt mir meine Freundin schon ein Haargummi entgegen. Sie kannte mich wirklich gut.

Der Bus war gerammelt voll. Wir erkämpften uns einen Platz zwischen einem Kinderwagen und einem übel riechenden Mann. Hinter mir stritt ein Mädchen lautstark über ihr Handy. Ich vermutete, dass sie mit ihrem Freund redete, denn ich erfuhr im Laufe ihres Anrufs mehr über ihre letzte Nacht, als ich wissen wollte. Zum Glück wurde ich schnell abgelenkt, denn hinter mir begann eine alte Frau ihrem Sitznachbarn – einem jungen Burschen mit schulterlangen Haaren und schwarzem Ledermantel – von ihren Verdauungsproblemen zu erzählen. Sie sprach nicht sehr leise, und so kam der halbe Bus in den Genuss, die Wirkung verschiedenster Abführmittel erklärt zu bekommen. Als dann zwei Sitzplätze frei wurden, ließen sich meine Freundin und ich schnell darauf nieder und packten unsere Unterlagen aus. Ich versuchte die Geräuschkulisse rund um mich auszublenden, und es gelang mir sogar, obwohl es mir wirklich schwer fiel, mich von den schmachtenden Liebeserklärungen des Pärchens vor mir abzuwenden. Stattdessen versuchte ich meinem Hirn zum abertausendsten Mal einzuprägen, dass der Nervus Ischiadicus durch das Foramen infrapiriforme hindurchtritt und sich dann in den Nervus tibialis und den Nervus fibularis communis aufteilt. Aber irgendwie hatten meine kleinen grauen Zellen etwas gegen diese Information.

Endlich kamen wir bei der Uni an und mussten die beiden Liebenden, sowie die Alte mit der schlechten Verdauung im Bus zurücklassen. Während wir uns hastig unsere Mäntel anzogen und gerade noch pünktlich in den Seziersaal huschten, ging ich in meinem Kopf die gerade vorher gepaukte Information noch einmal durch. Mit Schrecken musste ich feststellen, dass ich das Gesäusel des Pärchen anscheinend doch nicht so gut ausgeblendet hatte. Nun konnte ich mich nur noch erinnern, dass der Nervus ischiadicus durch „deinen sexy Hintern, Baby“ hindurchtrat und sich dann in „Schatzi, du bist mein Ein und Alles“ und „Ey, ich werde dich nie wieder betrügen, Süße“ aufteilte.

Mit einem Schulterzucken musste ich zu Kenntnis nehmen, dass ich wieder einmal keinen Plan hatte, worum es heute im Kurs gehen würde. Doch zum Glück hatte ich einen Joker. Er war Tutor, hieß Jochen und schaute aus wie Adonis höchstpersönlich. Selbst der mit Leichenteilen beschmutzte Mantel tat seiner Schönheit keinen Abbruch. Im Gegenteil, das gab ihm einen verwegenen und unberechenbaren Look. Ach, ich vergaß zu erwähnen: Jochen war mein Freund. Aber nicht mein „Wir-haben-schon-gemeinsam-im-Sandkasten-gespielt-und-verstehen-uns-immer-noch-gut“Freund. Nein, wir waren ein Paar. Seit genau drei Jahren.

Jochen war mein Held, mein Ritter in der strahlenden Rüstung. Vor allem im Seziersaal. Denn obwohl ich Anatomie wirklich gerne mochte und den Sezierkurs unheimlich spannend und interessant fand, konnte oder wollte mein Gehirn sich all die lateinischen Begriffe nicht merken. Jochen lernte mit mir, fragte mich geduldig immer wieder ab und hatte mich schon mehr als einmal aus einer peinlichen Situation mit einem der Professoren gerettet. Und darum konnten mir auch der blöde Nervus Ischiadicus und sein Loch nichts anhaben.

Während des Kurses lächelte mich mein Adonis vom anderen Ende des Saales immer wieder an, und ich konnte die neidischen Blicke der anderen Mädchen fast wie Messerstiche spüren. Doch das war mir egal. Er gehörte mir.

Und jetzt kam er auf mich zu. Der Kurs war schon fast zu Ende und ich bearbeitete gerade den Arm meines Präparats mit dem Skalpell. Ich schaute auf und blickte geradewegs in Jochens wunderschöne Augen. Er sah mich verliebt an und nahm dann plötzlich die Hand der Leiche und hielt sie mir vor die Nase. Ich wollte gerade angewidert einen Schritt zurücktreten, als mir Jochen mit seiner anderen Hand über die Wange strich und mich fragte, ob ihn heirateten wollte. Da erst sah ich das glitzernde Etwas, dass mein Präparat jetzt am Finger trug. Ich war zuerst fassungslos. Dann überwältigt. Schließlich wollte ich „Ja“ sagen. Ja, ich wollte ihn heiraten. Doch mein vegetatives Nervensystem kam mir zuvor. Es stimmte meinem gerade aufgetauchten Glücksgefühl noch nicht ganz zu, und so kotze ich Jochen vor die Füße.

Schlussendlich habe ich dann doch „Ja“ gesagt: Nachdem die Sauerei beseitigt war und wir an diesem Abend unter dem Sternenhimmel spazieren gingen. (Gegen die frische Luft hatte mein Vegetativum nichts einzuwenden).

Doch eines weiß ich ganz sicher: Wenn wir einmal Kinder haben, werde ich ihnen sicher nie erzählen, wie ihr Vater mir den Antrag gemacht hat.



Diese Geschichte ist nach einem witzigen Gespräch übers Seziern, das ich mit meinen Mitbewohnerinnen mal beim Abendessen hatte, enstanden :D
Achja: alle Personen und Begebenheiten in dieser Geschichte sind frei erfunden!